werkgruppe2

Soldaten

Ein szenisch-musikalischer Einsatzbericht

Warum meldet sich jemand freiwillig zum Kriegsdienst? Was machen „unsere“ Soldaten täglich in Afghanistan? Wie geht man damit um, wenn man die Bilder aus dem Einsatz nicht mehr los wird? Und wie fühlt es sich an, nach einem Auslandseinsatz in eine Gesellschaft zurück zu kommen, für die man sein Leben riskiert hat, die sich dafür aber gar nicht interessiert?

Auf der Basis von mehr als zwanzig Interviews mit aktiven und ehemaligen Soldaten der Bundeswehr haben die Regisseurin Julia Roesler, Co-Autorin Isabelle Stolzenburg und DT-Dramaturgin Anna Gerhards ein szenisch-musikalisches Kaleidoskop entworfen, in dessen Mittelpunkt die Berichte, Eindrücke und Erlebnisse im Ausland stationierter Soldaten stehen.

Das Ensemble, das aus fünf Schauspielern besteht, wird von einem Bassisten und drei Knabenchorsängern ergänzt, die eine ungebrochene kindliche Faszination für das heldenhafte Bild des Kämpfers verkörpern und mit ihren klaren Stimmen einen wirkungsvollen Kontrast zur rauen Klangwelt des Krieges herstellen.

Über werkgruppe2

Seit über sechs Jahren arbeitet werkgruppe2 als freies Theaterensemble mit fester Spielstätte in der Saline Luisenhall in Göttingen. Nach verschiedenen Theaterprojekten, die jeweils eine literarische Grundlage hatten (Spieltrieb, Das Orangenmädchen, Der Plan von der Abschaffung des Dunkels), entwickelt werkgruppe2 seit 2009 interviewbasierte Dokumentar-Theaterstücke und formt daraus musikalisch-theatrale Inszenierungen, immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen im Dialog der einzelnen Kunstsparten. Aus den Experteninterviews wird narrativ dichtes Textgeflecht geschaffen, das in der Umsetzung auf der Bühne mit einem professionellen Schauspielensemble das Thema schillernd und vielschichtig werden lässt. Klischees, Bilder und Vorurteile werden dabei hinterfragt, widersprüchliche Momente herauskristallisiert.
Den Kern der Gruppe bilden die Regisseurin Julia Roesler, die Musikerin Insa Rudolph und die Dramaturgin Silke Merzhäuser. Darüber hinaus gibt es bei jedem Projekt freischaffende Künstler, die das Ensemble für die jeweilige Produktion bereichern.
werkgruppe2 erhält Förderungen im Rahmen des Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes und durch das EU-Kulturprogramm. Zwei ihrer Produktionen waren in den bundesweiten Nachtkritik-Charts vertreten, darunter Soldaten auf Platz 1.

Das alte Magazin der Saline Luisenhall in Göttingen, ein Kreis von Plastikstühlen, Decken, Patronenhülsen auf dem Boden... Dieses bemerkenswerte Setting hat die Werkgruppe 2 für ihren eindringlichen Dokumentartheaterabend ‚Soldaten’ geschaffen – ein Stück über die seelischen Folgen roher Gewalterfahrungen, über das Im-Krieg-Sein, das alles verändert. Aus Interviewmaterial deutscher Soldaten, die in Afghanistan, dem Sudan, in Somalia und im Irak stationiert waren, haben die Regisseurin Julia Roesler und die Dramaturginnen Anna Gerhards und Isabelle Stolzenburg eine etwa eineinhalbstündige Textfassung gemacht. Fünf Schauspieler des Deutschen Theaters Göttingen sprechen diese Texte, sie reflektieren das Erlebte, erzählen von Gedanken, Hoffnungen, Wünschen und Ängsten. Dabei gelingt es der Inszenierung, aus den manchmal tagebuchhaft naiven und ungeschliffenen  Originaltexten eine bedrohliche Atmosphäre der Unbehaustheit und Verlorenheit entstehen zu lassen. Die Männer sind traumatisiert, haben ihre Gewissheiten verloren, in vielerlei Hinsicht. Sie wissen nicht mehr, was moralisch richtig ist, sie wissen nicht mehr, wie man schläft, wie man sich durch in Kaufhaus bewegt, wie man die Nähe der anderen zuläßt. Im Stück tauchen sie nach und nach aus den düsteren Ecken des niedrigen Raumes auf, erzählen vom Töten, von der Gefahr, von ihrem Auftrag. Ihre Motive für die Teilnahme am Einsatz sind banal – Abenteuerlust, Karrierestreben. Sie könnten die netten Jungs von nebenan sein, wie sie da zwischen den Zuschauern Platz nehmen, erklären, wie Gasmasken funktionieren, Bier ausschenken und eine Frau zum Tanz bitten. Doch es bleibt ein untergründiges Erschrecken über den Widerpruch zwischen der vorgeführten Selbstinszenierung als Retter und der offensichtlichen tragischen Zerstörung ihrer Psyche. Die Inszenierung greift ein in Deutschland noch immer stark tabuisiertes Thema auf: Die Teilnahme an Kriegseinsätzen im Ausland und die Natur des Soldaten an sich. Ein Knabenchor streut zart einige Lieder ein, die einen fast lakonischen Kontrapunkt zur rauhen Welt der Kriegserfahrungen bilden. Ein gelungener, über Strecken naturalistischer und ganz und gar unsentimentaler Abend, der uns eine bedrückende Realität vor Augen führt, mit der man sich in Deutschland ungern auseinandersetzt.

Lavinia Francke für die Auswahljury

Stab

Mit: Andreas Jeßing, Nikolaus Kühn, Bernhard Meyer, Karl Miller, Leif Scheele, Martin Schnippa und Sängern des Göttinger Knabenchores

Inszenierung: Julia Roesler

Musikalische Leitung: Insa Rudolph

Bühne: Nicola Antonia Schmid

Kostüme: Julia Schiller

Dramaturgie: Anna Gerhards

Co-Autorin: Isabelle Stolzenburg

Mitarbeit Recherche: Vera Barner

Kooperation mit dem Deutschen Theater in Göttingen und dem Göttinger Knabenchor

Gefördert von: Land Niedersachsen, Stiftung Niedersachsen, Göttinger Kulturstiftung, Stadt Göttingen, Saline Luisenhall