Markus&Markus

Polis3000: oratorio

Multimediales Oratorium

Polis3000: oratorio setzt sich mit institutionalisierten Formen der christlichen Religion auseinander und damit, wie Deutschland von dieser Religion geprägt wird. Christliche Feiertage sind in Gesetzen verankert; in Krankenhäusern und Gerichtssälen hängen Kruzifixe; die Supermärkte zelebrieren acht Monate im Jahr die Weihnachts- und Osterzeit; der marktführende Verlag in Deutschland (Weltbild) gehört der katholischen Kirche; Deutschland wählt christliche Parteien wie die CDU/CSU; Diakonie und Caritas sind die tragenden Säulen im Pflege- und Sozialsystem Deutschlands – es scheint, als sei die Trennung von Kirche und Staat endgültig aufgehoben. Ist das größte Unternehmen des Landes, die Kirche, die in einem rechtsfreien Raum Profit erzielt, für diese Gesellschaft überhaupt tragbar?

Markus&Markus dokumentieren Fakten und legen zugleich die Inszenierungsstrategien offen, derer sich die Kirche seit Jahrtausenden bedient. So trifft die Illusionskraft der Kirche auf die Illusionskraft der Theaterbühne und erscheint in neuem Licht.

Polis3000: oratorio ist der dritte Teil einer Serie, mit der das Hildesheimer Theaterkollektiv Markus&Markus der Absurdität der Welt beizukommen versucht. 

Über Markus&Markus

Die Gruppe geht aus dem Studiengang der Szenischen Künste der Universität Hildesheim hervor und lebt und arbeitet in Hildesheim. Seit 2011 haben sich Markus Schäfer und Markus Wenzel mit einer radikalen Form politischen Theaters überregional einen Namen gemacht. Ihre Aufführungen lösten öffentliche Debatten aus, in denen die Grenze zwischen Inszenierung und Realität völlig aufgelöst wurde. Dabei ist der Theaterkontext für ihren Zugriff auf die Realität entscheidend – die Brisanz entwickelt ihre künstlerische Praxis in der Konfrontation von Dokumentationen der Wirklichkeit mit der Bühne als Illusionsmaschine. Die Differenz zwischen Zuschauern und Darstellern, aktiven und passiven Teilnehmern der Aufführung, wird dabei aufgehoben. Markus&Markus präsentieren Aufführungen, die sich zwischen Neo-Agit-Prop, Dokumentartheater in der Tradition von Erwin Piscator, Show-Act und Punkoper bewegen.

Ihr erstes Stück Polis3000: autonomia entstand 2011 im Theaterhaus Hildesheim im Rahmen des Kapitalismusschredders und wurde mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Im Mai 2012 wurde Markus&Markus mit der Produktion Polis3000: respondemus zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladen. Ihre dritte Produktion, Polis3000: oratorio, entstand für das Freischwimmer Festival 2012/13 auf Kampnagel Hamburg und war bereits in den Sophiensælen Berlin, dem Brut Wien, der Gessnerallee Zürich, FFT Düsseldorf, Mousonturm Frankfurt und Kampnagel zu sehen. 

Das Theaterkollektiv Markus&Markus haben der Reihe ihrer politischen Performances, die sie unter dem Titel „Polis3000“ erarbeiten, ein drittes Projekt hinzugefügt: Nach „Polis3000:autonomia“ und „Polis3000:respondemus“ produzierten sie für das Freischwimmer-Festival „Polis3000:oratorio“. Beschäftigten sich die ersten Arbeiten mit Korruption in Deutschland und der Frage, welches Bild wir von uns selbst Außerirdischen vermitteln würden, wendet sich der jüngste Teil der Trilogie den Themen Staat und Religion zu.

Gefallen will diese Politperformance nicht. Sie verweigert sich dem vernünftigen Diskurs, denn sie polemisiert, spaltet und sie schmerzt. Oder sind es doch eher die Inhalte dieser Textlandschaften aus dokumentierten und selbstgenerierten Texten über die Doppelmoral kirchlicher Praxis zwischen gesellschaftlicher Institutionalisierung und seelsorgerischer Kapitalisierung, die erschrecken? Markus&Markus versuchen das zu erspüren - und spüren zu lassen. Eines ihrer szenischen Mittel ist das der Verausgabung. Nicht nur überbordende Wortkaskaden und projizierte Bilderfluten, auch die körperliche Intensität des Textschreiens, -brüllens und -performens lassen die Zuschauenden nie unbeteiligt, in Abwehr wie in Zustimmung. Die verzweifelten und misslingenden Versuche zum Komischen konterkarieren diesen Vorgang ebenso unzulässig wie hilfreich und entschärfen die Gefahr rechthaberischer Hybris. Sie selbst nennen ihre Performance „Neo-Agit-Prop“, die subjektivistischen Kunst- und Theateraktionen eines Christoph Schlingensief dabei kommentierend und zitierend. Ein Hinweis darauf, dass der politische Protest, die Provokation, die Beschimpfung eines der Strategien der Kunst des Freien Theaters war.

Thomas Lang für die Auswahljury

Stab

Von und mit: Katarina Eckold, Lara-Joy Hamann, Markus Wenzel, Markus Schäfer und Manuela Pirozzi

Gefördert von: Kulturbehörde Hamburg und Hamburgische Kulturstiftung

Kooperation mit Freischwimmer 2012/13