Fräulein Wunder AG

Auf den Spuren von... Eine Reise durch die europäische Migrationsgeschichte

Auf der Suche nach der Geschichte ihrer Familien ist die Fräulein Wunder AG quer durch Europa gereist. Sie hat mit verloren geglaubten Verwandten, Namensforschern und Historikern gesprochen, Archive und Dachböden durchstöbert, Briefe, Fotos und Erinnerungsstücke gesammelt. Das Ziel: die Migrationsbewegung der eigenen Familie nachzuvollziehen und zu verstehen: Wer ging wann von wo wohin? Und vor allem: Warum?

Gemeinsam mit dem Publikum rekapitulieren die Performer die gesammelten Geschichten und Erlebnisse. Sie erzählen von Aufbrüchen und Neuanfängen, Glücksfällen, Überlebenskämpfen und den Träumen von einem besseren Leben. Die Fräulein Wunder AG zeigt, dass unsere kulturelle Identität seit jeher von Ein- und Auswanderung geprägt ist und fragt: Inwieweit ist meine eigene Familiengeschichte Spiegel gesamteuropäischer oder sogar weltweiter Migrationsgeschichte? Und: Woher bloß habe ich diese Nase?! 

Über Fräulein Wunder AG

Fräulein Wunder AG ist seit 2004 Deckname für eine künstlerische Arbeitsgemeinschaft, die aus fünf Frauen und einem Mann besteht und sich aus dem gemeinsamen Studium der Kulturwissenschaften und Szenischen Künste an der Universität Hildesheim gründete. Ihre Arbeiten zwischen Performance, Schauspiel, Installation und Aktion entstehen in kollektiven Arbeitsstrukturen: Alle Mitglieder sind zugleich KonzeptentwicklerInnen, DramaturgInnen, RegisseurInnen und PerformerInnen. Ihre „Stoffe“ finden sie an der Schnittstelle von gesellschaftlichem Diskurs und persönlich relevanten Themen, die sie in unterhaltsame, filmische und theatrale Bilder und Aktionen transformieren. Wichtig sind ihnen immer wieder unterschiedliche Rechercheformate als Grundlage ihrer künstlerischen Arbeit, aber auch das Experimentieren mit geöffneten Aufführungskonzeptionen, in der das Publikum als aktiver Spielpartner den Verlauf des Geschehens mit beeinflusst.

Die Produktion „Auf den Spuren von …“ wurde ausgezeichnet mit dem Innovationspreis der Bundeszentrale für politische Bildung im Ideenwettbewerb Lateinamerika und erhielt u.a. Einladungen zu den „Hessischen Theatertagen“ in Kassel, zum „Odyssee Heimat Festival“ in Bremerhaven, zum „Transportfestival“ in München, zur „Theaterszene Europa“ in Köln und zu perform now!/Trans.Cript in Winterthur/Schweiz. 

In einem offenen Raum, ohne Unterteilung von Bühne und Zuschauerraum, empfangen die Darstellerinnen mich und die anderen Zuschauer. Sie zeigen mir Bilder von Vorfahren, zeigen Landkarten, stellen Fragen zu meiner Herkunft, in einer Ecke an der Bar bekomme ich einen Schnaps zu trinken. Über den Abend wird sich dieser Raum immer wieder verändern, die Darstellerinnen werden neue Spielorte aufmachen und auch die Zuschauer immer neu adressieren: Sie werden uns zum Tanzen auffordern, uns um ein Bekenntnis bitten, was unsere Heimat ist oder mit uns ein Stück des Bühnenbilds bauen. Dabei kommen wir fast einmal um die Welt: sind in Brasilien, auf einem Ozeandampfer, Afrika und dann wieder in Hannover. Erzählt werden Geschichten von Migration ausgehend von den Familien der Darstellerinnen. Allerdings ohne dass es wirklich von Bedeutung wäre, ob das, was erzählt wird, wahr oder fiktiv ist. Denn deutlich wird, dass jede dieser Geschichten sich hätte zutragen können, dass sie auch meine Geschichte sein könnte. Vielmehr entwickelt sich im Laufe (unseres) Abends eine gemeinsame Erzählung von Akteurinnen und Publikum, die nach dem Wunsch fragt, in der Fremde ein anderes Leben zu suchen, nach dem, was Heimat ist und wie die Fremde zu Heimat werden kann. Fräulein Wunder AG greifen damit ein aktuelles Thema auf, ohne belehrend aus einer gesicherten Position über andere Migranten zu sprechen, sondern sie inszenieren sich selbst als Beispiel. Dabei fügen sie der aktuellen Debatte eine historische Dimension zu. Was übrig bleibt, ist die Erkenntnis, dass jeder von uns eine Migrationsgeschichte hat und damit auch vermeintlich gut gemeinte Abgrenzungen neu bewertet werden müssen. Dabei gelingt es ihnen das Publikum mit ins Spiel zu bringen. Die daraus resultierende über weite Strecken offene Dramaturgie birgt Risiken – so kann es durchaus zu Längen kommen, es können sich Unsicherheiten der Darstellerinnen zeigen – , ihr besonderes Potenzial liegt aber darin, das Theater für immer neue Räume und Handlungsmöglichkeiten zu öffnen. Denn auch die Theaterzuschauer sind zu Beginn des Abends Fremde, mit dem Wunsch etwas Neues zu entdecken und die Fräulein Wunder AG hilft uns gemeinsame Rituale zu entwickeln, damit der Theaterraum zumindest temporär zur Heimat wird.

Prof. Dr. Annemarie Matzke für die Auswahljury

Stab

Von und mit: Anne Bonfert, Malte Pfeiffer, Vanessa Lutz, Verena Lobert 

Bühne: Dominik Steinmann

Kostüm: Dominik Steinmann und Tatjana Kautsch

Licht: Christian Meinke

 

Koproduktion mit Landungsbrücken Frankfurt und LOT-Theater Braunschweig. 

Gefördert von: Land Niedersachsen, Bundeszentrale für politische Bildung, Stiftung Niedersachsen, Stadt Frankfurt a. M., Stiftung Leben & Umwelt. Heinrich Böll Stiftung Niedersachsen, ancestry.de.